4. Adventwoche
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2. Dezember

Der Traum vom Frieden

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Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg, der unermessliches Leid und Millionen Menschen den Tod brachte. Heuer wurde schon viel über die Schrecken, die Angst und die Gräueltaten dieser Zeit gesprochen. Während eines Interviews am 30. September 2015 (Persönlichkeiten im Gespräch) erzählte Pfarrer Dr. Streit unter anderem auch über seine Erinnerungen an die Kriegsjahre. Hier ein Auszug aus diesem Gespräch:
„Meine Kindheitserinnerungen sind sehr stark geprägt von den Kriegsereignissen. Es war ein Kampf ums tägliche Überleben. Mein Vater leitete eine Speditionsfirma, die teilweise auch ein Kriegsbetrieb war, und wurde wegen seiner Gesinnung immer wieder zur Gestapo vorgeladen. Die Tage vor dem Erscheinen der Gestapo waren von der Sorge geprägt, die Wahrheit zu sagen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Ablehnung des nationalsozialistischen Systems war bekannt, und mein Bruder und ich wurden gedrängt, in die HJ zu gehen. Das Vorführen vor diesem Jugendgericht, das Schrecken und Angst bedeutete, ist mir in lebhafter Erinnerung geblieben.
Im Oktober 1944 wurde mein Vater eingezogen (im Hitler-Regime war er vorerst unabkömmlich gewesen). Uniformen und Ausrüstung gab es dann keine mehr, man wurde mit Patronen im Hosensack losgeschickt, um den Rückzug der deutschen Truppen von Bratislava Richtung Linz zu sichern.
In der Nachkriegszeit wurde die Speditionsfirma, für die mein Vater nach seiner Rückkehr von der amerikanischen Kriegsgefangenschaft wieder tätig war, zum USIA-Betrieb, der Kraftwerke und ähnliches belieferte. Die Gestapo gab es dann zwar nicht mehr, dafür die russische Kommandantur, zu der wir eine gewisse Affinität hatten: Die Schwester meines Vaters besaß ein Haus in Baden, das in der Russenzeit der Ort der Erschießung jener Menschen war, die die Russen liquidieren wollten.
Während des Krieges und danach erlebte man viele Entbehrungen. Die Ernährung war mühsam. Es gab Erbsen, die lange gekocht wurden, meist während der Nacht, da es tagsüber oft keinen Strom gab. Am Morgen wurden dann die Würmer abgefischt. Die Nachbarin versorgte Hausparteien mit Erdäpfeln aus dem Waldviertel. Wir bekamen keine Erdäpfel, aber die Schalen blieben über und wurden aufs Fensterbrett gelegt. Wenn wir die Schalen hungrig verschlingen wollten, bestand die Mutter darauf, vorher zu beten. Um Brot auf Marken zu bekommen, musste man sich anstellen, das hieß um 3 Uhr früh aufstehen und zu einer bestimmten Bäckerei gehen. Unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe stieg man dabei über Leichen, die auf der Straße lagen.
Es gab Angstmomente, wo ich gespürt habe, was alles auf dem Spiel steht. In den letzten Kriegstagen suchten wir im Pfarrhof St. Josef in Margareten Schutz, wohin sich auch ein SS-Mann flüchtete, um das Telefon zu benützen. Er wurde von den Russen erwischt und niedergestreckt. Außerdem wurde über alle, die im Keller waren, das Todesurteil gesprochen. Pfarrer und Kaplan versuchten uns mit Segenssprüchen aufzurichten. Nicht nur. Vor allem der Kaplan konnte sich sprachlich mit den Soldaten verständigen und zur Klärung unserer Situation beitragen. Es hat 14 Tage gedauert, bis wir an die Wand gestellt wurden. Dann hieß es, jeder zweite wird erschossen, und ein Tag, wo dies geschehen sollte, wurde festgesetzt. der 9. April. Knapp davor hat sich das Blatt gewendet, und man ließ uns frei.
Erst Jahrzehnte später ist mir bewusst geworden, dass dieses Datum eine ganz besondere Bedeutung für mich hat. Der 9. April 1961 war der Tag meiner Priesterweihe.“
In Österreich ist der Krieg schon lange vorbei. Wir können auch 2019 das Weihnachtsfest wieder in Frieden feiern. Dass alle Menschen auf der Welt in Frieden zusammenleben, bleibt ein Traum.

Dr. Leopold Streit

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