4. Adventwoche
4. Adventwoche

16. Dezember

Hasenbraten

vier sitzende Hasen

Seit vielen Jahren schon feierte unsere Familie mit den Kindern das Weihnachtsfest und die anschließenden Tage immer gemeinsam mit den beiden Omas. Sowohl meine Mutter als auch meine Schwiegermutter freuten sich darauf, eine ganze Woche bei uns zu wohnen, umsorgt und verwöhnt zu werden. Es war Tradition, dass es am Heiligen Abend gebackenen Karpfen und am Christtag einen Gansbraten gab.
Die folgende Geschichte rund um den weihnachtlichen Speiseplan ereignete sich vor ungefähr 35 Jahren. Einer meiner Arbeitskollegen war Jäger und brachte vor Weihnachten mehrere erlegte Hasen mit ins Büro, die er günstig verkaufte. Ich hatte im Prinzip nichts gegen einen Hasenbraten, machte aber sofort einen Rückzieher, als ich sah, dass die Tiere noch ihr Fellkleid anhatten. „Wenn du willst, bringe ich für dich einen schon abgehängten ausgezogenen Hasen mit“, wurde mir angeboten. Und wirklich am nächsten Tag bekam ich ein bratfertiges Tier inklusive einem Sackerl Blut und einem Rezept für die Zubereitung.
Der Hasenbraten war für den Stefanitag gedacht. Nachdem im Küchenkühlschrank nach dem Lebensmitteleinkauf für die Festtage kein Platz war, wurde der Hase im Abstellraum im ersten Stock untergebracht, in dem sich ein selten benützter Reservekühlschrank befand, dessen Kabel gerade lang genug war, um quer durch den Raum gespannt Strom zu liefern.
Am Morgen des Stefanitages ging ich den Hasen holen. Als ich den Kühlschrank öffnete, schlug mir bestialischer Gestank entgegen: Das Stromkabel war aus dem Stecker gerutscht. Das Fleisch war keinesfalls mehr genießbar und nicht einmal mehr als Hundefutter zu verkochen. Es war nicht daran zu denken, das stinkende Etwas durchs Haus zu tragen, da der penetrante Geruch den Tannen- und Keksduft vertrieben hätte. Zum Glück hatte es einige Grad unter Null. Der Hase samt Zubehör wurde deshalb auf dem Balkon deponiert und erst nach Stunden in gefrorenem Zustand entsorgt.
Vielleicht waren die Omas enttäuscht, dass es am zweiten Weihnachtsfeiertag keinen Hasenbraten gab, die Kinder aber freuten sich und sagten: „Heuer zu Weihnachten haben wir nicht nur den Fisch und das Gansl, sondern endlich auch einmal etwas richtig Gutes zum Essen gekriegt, nämlich Palatschinken.“

Traude Steiner

Diese Seite verwendet Cookies. Nutzen Sie weiterhin unsere Seite, stimmen Sie unserer Cookie-Nutzung und der Datenschtutzerklärung zu.