4. Adventwoche
4. Adventwoche

Auch unter dem Jahr kann sich Weihnachten ereignen

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Auch unter dem Jahr Advent – hinsehnen, hinwarten, hinfreuen, hinwünschen ...

Als meine Großmutter acht Jahre alt war, starb ihre Mutter kurz nach der Geburt des jüngsten Geschwisterls.
1889 war das. In der Südsteiermark, in einem kleinen Dorf. Sie lebten in einer Keusche: Vater, Mutter und zehn Kinder. Kann man sich vorstellen, was der Tod der Mutter für die Familie bedeutete? Sie wurde aufgelöst bzw. löste sich auf.
Als einziges Kind durfte der Älteste, der elfjährige Bruder, beim Vater bleiben. Die anderen Kinder wurden verteilt – zu Verwandten, zu Leuten in der Umgebung.
Karoline, meine Großmutter, kam ins Nachbardorf, zu Kleinhäuslern, die ein schweres Leben hatten wie viele damals und das Kind als das fünfte zu sich nahmen; aus Mitleid, aber auch berechnend, denn es war still, freundlich und sehr fleißig – eine gute Arbeitskraft. Das war damals wichtig, ging es doch immer um die Existenz. Karolines Tage waren ausgefüllt mit Arbeit und Aufgaben. Je nach Jahreszeit: im Haus, im Garten, auf den kleinen Feldern, im Stall. Die große Erfüllung war die Schule. Dort war sie glücklich.
Als Karoline zwölf Jahre alt war, kam eine Tante aus Mürzzuschlag zu Besuch. Diese Tante war eine Schwester ihrer Mutter. Sie war so anders, sie war so, dass Karoline gar nicht mehr von ihrer Seite wollte und am liebsten mit ihr mitgefahren wäre. Aber davon konnte sie ja nur träumen ... Die Tante merkte wahrscheinlich, wie gern das Kind mit ihr kommen wollte – und sie merkte auch, was für ein schweres Leben Karoline hatte.
Bevor sie wegfuhr, machte sie ihr einen Vorschlag: In zwei Jahren – an ihrem letzten Schultag – solle sie ihr Sonntagsgewand anziehen und nach der Schule nicht nach Hause gehen, sondern mit dem Zug nach Mürzzuschlag fahren. Karoline bekam ein Kuvert mit Geld, einen Zettel mit Namen und Adresse der Tante.
Das Kuvert war ihr Schatz. Ihr alles. Sie versteckte ihn, träumte, dass sie ihn verloren hat, dass ihn jemand gefunden hat. Sie wechselte hin und wieder die Verstecke. Dann war sie für eine Weile beruhigt – und erneut meldete sich die Angst ...
Die Zeit ging dahin … der letzte Schultag kam … Karoline stieg in Mürzzuschlag aus dem Zug … Karoline fand zu ihrer Tante …, und Weihnachten war – im Sommer!

Ingrid Fickert-Krenn

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